Reformatorische Hauptschriften von 1520
„Martin Luther hat sich gegen den Papst gestellt, die Kirche reformiert und die evangelische Kirche gegründet.“ Diesen Allgemeinsatz hört man oft, wenn man fragt, was Luther denn getan habe. Dieser Satz ist ja auch nicht falsch. Doch was hat Martin Luther in seinen zahlreichen Schriften eigentlich geschrieben?
Im Jahr 1520 hat Martin Luther eine Reihe von wichtigen reformatorischen Schriften verfasst, die in kürzester Zeit als Flugschriften in den deutschen Landen verbreitet wurden. Er hat darin die Fragen und Zweifel vieler Menschen aufgenommen: Wer entscheidet über die richtige Auslegung der Bibel? Braucht man Geistliche oder Heilige als Verbindung zu Gott? Muss man Gutes tun, um Gott zu gefallen? Sind Geistliche bessere Christen? Welche Sakramente hat Jesus eingesetzt?
Die erste der vier reformatorischen Hauptschriften Luthers von 1520 ist der Sermon von den guten Werken. Darin antwortet Luther auf den Vorwurf, seine Theologie verbiete gute Werke, tröste allein auf den Glauben hin und mache „ruchlose Leute“. Seine Schrift ist nach den einzelnen Geboten gegliedert, denn wer danach fragt, was gute Werke seien, soll sich an die Gebote halten. Entscheidend ist der Glaube. Wo Glaube, wo gutes Gewissen zu Gott, ist jedes getane Werk gut, und wenn es „auch so gering wäre, wie einen Strohhalm aufheben“. Die vermeintlich guten Werke hingegen, die nicht im Glauben geschehen, lassen Gott so erscheinen, als sei er „ein Trödler und Tagelöhner, der seine Gnade und Huld nicht umsonst geben wollte“.
Mit der zweiten Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung rief Luther die Fürsten auf, die Reformation praktisch durchzuführen, weil die Bischöfe darin versagt hätten. Denn die „Romanisten“ stellten die kirchliche Obrigkeit über die weltliche und behaupteten, nur der Papst dürfe die Bibel auslegen und ein Konzil einberufen. Luther entgegnet, dass es keinen Unterschied zwischen geistlichem und weltlichem Stand gebe, da alle Christen durch die Taufe und den Glauben dem geistlichen Stand angehören (Priestertum aller Gläubigen, 1. Petrus 2,9). Es gibt nur eine Unterscheidung im Amt: Das geistliche Amt verwaltet die Sakramente und das Wort Gottes, die weltliche Obrigkeit straft die Bösen und schützt die Frommen, egal, ob es sich um Papst, Bischof, „Pfaffen“, Mönche oder Nonnen handele (Römer 13,1-4, gegen den politischen Primat des Papstes). Da sich allen Christen durch den Heiligen Geist das wahre Schriftverständnis auftun kann (Johannes 6,45), haben alle Christen ein von Gott gegebenes Urteilsvermögen in Bezug auf Glaubensdinge (gegen den Lehrprimat des Papstes, 1. Korinther 2, 15). Deshalb können im Prinzip alle Christen, erst recht die weltliche Gewalt, deren Haupt wie das der geistlichen Gewalt Christus ist, ein Konzil einberufen. So sei beispielsweise auch das Apostelkonzil von allen Aposteln und Ältesten, nicht nur von Petrus allein, oder das Konzil von Nicäa durch Kaiser Konstantin einberufen worden. Luther schlägt vor, die „römischen Missstände“ zu beenden (Prunksucht und Absolutheitsanspruch des Papstes als Herr der Welt, unrechtmäßige Einnahmen und Bereicherungen), Kirchenstaat und Zölibat abzuschaffen, Bildung allen zu ermöglichen und eine geregelte Armenfürsorge einzuführen.
Die dritte Schrift Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche reduziert die sieben katholischen Sakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie, Beichte, Priesterweihe, Ehe, Krankensalbung) auf zwei, die Jesus selbst eingesetzt hat: Taufe und Abendmahl. „Vor allem muss ich die Siebenzahl der Sakramente ablehnen. Das ganze Sakrament des Brotes – auch der Kelch – ist den ,Laien‘ zu reichen. Nur Taufe und das Brotbrechen sind Sakramente, denn sie sind nach der Heiligen Schrift von Christus gestiftete Zeichen und sie verheißen die Vergebung der Sünden. Sonstige ,Sakramente‘ sind, da sie nicht mit wirklichen Zeichen verbunden sind, einfache Verheißungen.“ Bahnbrechend war vor allem die theologische Begründung: Jesu eigenes, gepredigtes Wort vermittelt das Heil. Die Sakramente veranschaulichen seine Zusage und dienen ihrer Vergewisserung, fügen ihr aber nichts hinzu. Luthers Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen schließlich fasst die „evangelische Freiheit“ eines Christen in zwei Sätzen dialektisch zusammen: „Ein Christenmensch ist (durch den Glauben) ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist (wegen der Liebe) ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Die Obrigkeit kann nur regeln, was den „äußeren Menschen“ betrifft. Innerlich ist der Mensch frei und niemandem außer Gott untertan. „Wen der Herr freimacht, der ist frei, unabhängig von den äußeren Lebensbedingungen.“ In dieser Schrift kommt Luther auch nochmals auf die Werke aus freier Liebe zum Nächsten zu sprechen: Gute Werke sind nützlich, aber nicht zur Seligkeit. Werke, die nicht aus Liebe geschehen, sind falsche Werke. Wie Gott an einem selbst gehandelt hat, so soll der Christ am Nächsten handeln und ihm so „zum Christus werden“.
Stephan Glaser