Albertine Werner (1812 – 1882)

Mit der Heirat war sie in eine Haushaltung einge­treten, in der bereits dreißig Kinder zu versorgen waren. Dort, im sogenannten Mutterhaus, wurde sie Hausmutter und leitete zusammen mit ihrem Mann die Werner’schen Anstalten. Ihr oblag die Haus­haltsführung. Dabei konnte sie jahrelang nicht auf sichere Einkünfte zählen, vielmehr war sie auf den Ertrag der Arbeit von allen und auf etwaige Liebes­gaben angewiesen. Aus dem Jahr 1848 wird berich­tet: „Der ganze Haushalt bewegte sich in den Gren­zen äußerster Sparsamkeit, ja es soll zum Nachteil der Gesundheit oft über dieselben hinausgegan­gen sein.“ Der Aufbau eines Rettungshauses und einer christlichen Hausgenossenschaft forderte alle Kräfte. Privates Glück war nicht vorgesehen. Die ständig wachsende Bruderhausgemeinschaft wurde ihre Familie. In ihrer Rolle als „Mutter“ schuf sie ein Zuhause und damit Heimat für alle. Aus beschei­denen Anfängen entwickelte sich in rund 20 Jahren ein umfangreiches Werk an verschiedenen Orten im alten Württemberg mit 25 Einrichtungen und 1746 Personen. Allein in der Mutteranstalt Reutlingen befanden sich rund 650 Personen, davon waren 120 Kinder. Sie alle mussten versorgt werden.

Als „Mutter Werner“ war sie Ansprech­partnerin für alle Sorgen und Nöte der großen Einrichtung, war Hausherrin und Gastgeberin. Sie empfing interes­sierte Besucher und sorgte bei großen Versammlungen und Festen für die zahlreichen Gäste. In den erhaltenen Briefen kommen weitere Aufgaben zur Sprache: Sie beaufsichtigte Kran­ke bei Epidemien, organisierte Schul­bauten und Renovierungen, achtete auf Einhaltung pädagogischer Grundsätze, gab Ratschläge und Ermahnungen an Groß und Klein, machte Inspek­tionsreisen in Tochteranstalten und pflegte Kon­takte bis in die Schweiz und darüber hinaus. Sogar das syrische Waisenhaus in Jerusalem von Ehepaar Schneller wurde in den 80er-Jahren mit Kleider­spenden unterstützt.

Als Albertine im September 1882 starb, hieß es in der Grabrede, dass sie „eine richtige, consequente Durchführung der Hauptgrundsätze der Liebesthä­tigkeit“ ausgeübt habe und darin vorbildhaft gewe­sen sei. Das Wort „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ habe für sie vier konkrete Grundsätze bein­haltet: 1. Die „aufgenommenen Kinder als Eigene zu lieben“, 2. „durch nutzbringende Arbeit sowohl die Kinder zur Arbeitsamkeit zu gewöhnen, als zu deren Versorgung die nötigen Mittel zu gewinnen“ (und so „das in jedem Menschen liegende Pfund somit recht nutzbar zu machen, wodurch am besten der Not und Verwahrlosung der Armen selbst gesteuert wird“), 3. „die erhaltende und das Erworbene wohl benützende Sparsamkeit“ mit „unerbittlicher Kon­sequenz in der Haushaltung“ walten zu lassen als gute Haushalterin der anvertrauten Mittel und 4. die „möglichste Gerechtigkeit“ einzuführen, und zwar „die, die jedem seine Gebühr gibt“.

Damals zumindest wurde in der von Albertine Wer­ner gelebten Nächstenliebe ein Vorbild für einen sozialen Staat gesehen. So kann man in der Grab­rede lesen: „Der Kaiser mit seinem großen Kanzler hat es ja ausgesprochen, daß das göttliche Grund­recht der Nächstenliebe auch im Staat zur Geltung gebracht werden müsste, und der Staat als ein christ­licher Staat es als seine Verpflichtung anzuerkennen habe, für den nothleidenden Theil der Gesellschaft Sorge zu tragen“.  

                       Dorothee Schaad

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