Gott – ein starker Turm

Die eigentliche Geschichte hierzu kennen wir gar nicht mehr. Die Geschichte ist hinter dem Eigent­lichen zurückgetreten: der Erfahrung von unmittel­barer Angst und von beängstigender Hilflosigkeit. Was bleibt, sind Worte eines Rufenden, der in sei­ner akuten Bedrohung keine Zeit mehr dazu hat, eine Geschichte zu erzählen. Worte, die nicht lange drum herum reden, sondern unmittelbar zur Sache kommen: Höre, Gott, mein Schreien!

Mit diesem Hilferuf beginnt Psalm 61. Keine Geschichte, aber die Situation steht uns ganz klar vor Augen: Hier geht jemandem das Wasser bis zum Hals. Die nächsten Verse verdichten dieses Gefühl: Vom Ende der Erde rufe ich zu dir, denn mein Herz ist in Angst; du wollest mich führen auf einen hohen Felsen. Denn du bist meine Zuversicht, ein starker Turm vor meinen Feinden. Ein Psalm, ein Gebet und gleichzeitig ein Gedicht. Hohe Poesie, eine kraftvolle Sprache und Themen, die unter die Haut gehen, sind hier die Kennzeichen. Es kommt darin die persönli­che Erfahrung des Betenden zum Tragen, dass Gott spür­bar da ist im Leben des Men­schen. Und genau darin ist er auch ansprechbar: als ein Gott, der nah ist, auch wenn man ihn nicht mit Händen greifen kann.

Gott – du bist ein starker Turm. Das ist ein ungewöhn­liches Bild für die Gegenwart Gottes. Wir kennen da eher das Bild von Gott als Burg, gerade auch durch Luthers Lied: Ein feste Burg ist unser Gott. Ungewöhnlich, hier wird nur vom Turm gesprochen – ohne Burg. Was mag das für ein Turm sein? Dem Beter ist klar: einer, der Zuversicht ver­schafft, denn er kann die Fein­de abwehren. Im ersten Moment mag das vielleicht zu kriegerisch klingen. Und wir mögen heute keine kriegerischen Bilder, gerade dann nicht, wenn sie mit Gott zu tun haben sollen. Bevor wir das Bild mit dem Turm aber abtun, geben wir zuerst noch ein­mal dem Beter das Wort. Sein Schreien erschallt von den Enden der Erde – von einem Ausgangspunkt, der im völligen Dunkel liegt; fernab von allem, was nach Leben schmeckt. Es ist ein tödlicher Ort, an dem der Rufende sich befindet. Da will er raus, so schnell wie möglich. Er selbst hat keine Kraft mehr, sein Vertrauen liegt ganz bei Gott: Bitte, stelle mich auf einen hohen Felsen. Lass mich wieder Licht sehen. Zieh mich raus, aus dieser lebensfeindlichen Umgebung! Du bist mein starker Turm. Wenn du bei mir bist, dann fühle ich mich sicher, deine Mauern schützen mich. Keiner kann mir dort etwas antun. Dort komme ich zur Ruhe, kann ich wieder atmen. Einen starken Turm haut nichts so schnell um, dar­auf kann man sich verlassen. Er steht unverändert da, wie ein Fels in der Brandung. So ein Turm ist von weitem schon sichtbar. An ihm kann man sich orientieren.

Zu biblischen Zeiten hat man in der Wüste zum Schutz für die Hirten Türme gebaut, meistens neben Brunnen. Ein Turm war ein Ort des Lebens unter lebenswidrigen Umständen. Es gab hier Wasser, eine Bleibe in bitterkalter Nacht, bei unbarmherzi­ger Hitze, bei Stürmen und Schutz vor wilden Tie­ren und raubenden Banden.

Ein Turm ist ein Ort des Lebens. Auf all das vertraut der Beter in seiner Angst: Du, Gott, bist ein starker Turm vor meinen Feinden. Du schützt mich vor allen Stürmen und all dem, was mich bedroht. Die konkrete Geschichte zu diesen Worten kennen wir nicht. Waren die Feinde krie­gerische Gegner oder sogar Menschen aus dem nahen Umfeld? Litt er unter Mob­bing? Oder war es eine Krank­heit, die ihm die Lebenskraft nahm? Wir wissen es nicht. Aber in diesen Bildern kön­nen wir gleichzeitig die star­ke Lebensbedrohung spüren sowie das große Vertrauen, dass Gott gegenwärtig ist wie ein starker Turm.

Es ist erstaunlich: Diese Bilder eröffnen uns heute noch Raum, dass wir mit dem eigenen Leben dar­in vorkommen können. Es sind unsere persönlichen Erfahrungen, die diese Bilder mit Farben und Schat­tierungen füllen. So können wir heute noch mit die­sen uralten Worten beten und uns, unter ihren Mau­ern, in ein Tausende von Jahren altes Gottvertrauen stellen.

Nicole Friedrich

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